Gudrun Friedrich
W. Böhm, H. Voss-Rauter
Bayerischer Rundfunk
1995
45 Minuten
Das Anliegen des Filmes ist eine Einführung in die "zeitlose Welt der Montessori-Pädagogik", und in der Tat werden in bemerkenswerter Breite das Lebenswerk Maria Montessoris sowie die Grundzüge ihrer Pädagogik vorgestellt. Anders als andere Beiträge bleibt dieser Film jedoch nicht bei der Darbietung ihrer zentralen Unterrichtsprinzipien stehen, sondern thematisiert auch die Hauptstränge in Montessoris Spätwerk, d.h. ihren friedenspädagogischen Ansatz und die Konzeption einer Kosmischen Erziehung. Zeitzeugen wie Jansie G. Heyenk, eine ehemalige Schülerin Montessoris, berichten über persönliche Begegnungen mit der „Dottoressa“, und auch geistesgeschichtliche Einflüsse auf ihre Pädagogik werden herausgearbeitet, so daß insgesamt ein sehr facettenreiches Portrait Maria Montessoris entsteht.
Befremdlich mutet jedoch die eingangs geäußerte Feststellung an, Montessori sei heute eine Klassikerin, deren Namen zwar jeder kenne, deren Lebensweg indes "weithin unbekannt" sei. Im historischen Hörsaal der Universität Rom führen die beiden Erziehungswissenschaftler G. Flores d'Arcais und W. Böhm aus, daß Montessori zunächst Wissenschaftlerin gewesen sei und erst später zur Pädagogik gefunden habe, so daß die Praxis bei ihr klar der Theorie folge. Die verbreitete Auffassung, daß sie in erster Linie eine begnadete Praktikerin war, sei eine unhaltbare "Legende", die sich dem besonders in Italien stark verbreiteten "Montessorianismus" verdanke: Montessori habe, so d'Arcais, eine "verführerische Wirkung" auf ihre Anhängerinnen gehabt und diese gezielt eingesetzt. Im Zusammenhang dieser These von Sektierertum und Schwärmerei heißt es, "Karrieresucht" bzw. "Sendungsbewußtsein" seien der rote Faden durch Montessoris Leben: "Maria Montessori hat von Anfang an ein Ziel vor Augen gehabt: Sie wollte weltberühmt werden. Das hat sie zu erreichen versucht zunächst in der Wissenschaft, dann durch die Schaffung einer neuen Pädagogik. Dort hat sie es dann erreicht".
Zitate aus ihren Briefen zeigen eine nachdenkliche und einfühlsame Montessori, die, wenn auch selten, Gefühle offenlegen kann. Andererseits ist sie die emanzipierte Ärztin und engagierte Streiterin für die Rechte der Frauen, die sich gleichermaßen auch für Kranke, sozial Schwache und Analphabeten einsetzt. Neben der wissenschaftlich geschulten Beobachtungsfähigkeit kommt ihrer gesamten Arbeit der intuitiv erfassende Blick als weiterer Wesenszug ihrer Persönlichkeit zugute. Erwähnt wird auch ihre problematische Mutterschaft, welche in gewisser Weise Montessoris "exzessive" Idealisierung des Kindes erkläre, und das erst späte öffentliche Bekenntnis zu ihrem Sohn Mario. Daneben wird die Entwicklung ihres Materialsystems skizziert, die „Schreibexplosion“ der vierjährigen Kinder von Rom, die Entdeckung der Polarisation der Aufmerksamkeit und die weltweite Verbreitung der Montessori-Bewegung beschrieben. Von besonderem Interesse sind Aufnahmen aus dem Kinderhaus von San Lorenzo sowie Bilder einer italienischen Wochenschau aus den frühen 30er Jahren, die belegen, daß Montessori die professionelle Werbung für ihre pädagogischen Anliegen keineswegs verschmähte.
Montessoris Verhältnis zu Mussolini und ihr Bruch mit dem Faschismus im Jahre 1934 werden ebenso thematisiert wie ihr Einsatz für den Frieden am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Dabei wird ihre Hoffnung deutlich, mit freiheitlicher Erziehung lasse sich ein wesentlicher Beitrag zu einer besseren und friedlichen Welt leisten. Als wichtige Station ihres Lebens werden auch die in Indien verbrachten Jahre herausgestellt, während der sie ihre Überlegungen zu dem ökologisch orientierten Bildungskonzept einer „Kosmischen Erziehung“ intensivierte. Die Aktualität ihres Denkens soll im Schlußteil des Films noch einmal unterstrichen werden: Hier wird eine Montessori-Lehrerin gezeigt, die gemeinsam mit ihrer Klasse die Problematik aggressiven Verhaltens bespricht. Die Bezüge zu den friedenspädagogischen Bemühungen Montessoris wirken jedoch etwas konstruiert und können nicht recht überzeugen.
Insgesamt zeichnet der Film "Wo ich bin, ist Freiheit" ein umfassendes Bild vom Lebenswerk Maria Montessoris und vermittelt einen breiten Überblick über ihr pädagogisches Schaffen. Es wird deutlich, daß sich Montessori-Pädagogik nicht in einer Unterrichtsmethode erschöpft und als solche hinreichend kennzeichnen läßt. Zutreffend wird herausgearbeitet, daß Montessori nicht nur Anwältin der individuellen Freiheit des Kindes war, sondern sich auch für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Bedingungen einsetzte, unter denen sich Erziehung vollzieht. Irritierende Aussagen wie die These von der durch profane Karrieresucht motivierten Pädagogin schmälern nicht den insgesamt sehr positiven Gesamteindruck des Films.
(Michael Klein-Landeck)
Böhm, Winfried: Maria Montessori. Hintergrund und Prinzipien ihres pädagogischen Denkens, 2. Aufl. Bad Heilbrunn 1991
Böhm, Winfried (Hg.): Maria Montessori. Texte und Gegenwartsdiskussion, 4. Aufl. Bad Heilbrunn 1990
Fischer, Reinhard/ Klein-Landeck, Michael/ Ludwig, Harald (Hrsg.): Die „Kosmische Erziehung“ Maria Montessoris, Münster 1999
Ludwig, Harald/ Fischer, Reinhard/ Heitkämper, Peter (Hrsg.) Erziehung zum Frieden für Eine Welt — Der Beitrag der Montessori-Pädagogik, Münster 2000