Rafael Huy
Wolfgang Pauli
Udo Stöcker
WDR Landesstudio Münster
1986
30 Minuten
Der Film entstand im Zusammenhang mit einem in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Modellversuch zur schulischen Integration nicht behinderter und verschiedenartig behinderter Kinder.
Unter den Schülerinnen und Schülern der Montessori-Grundschule Borken (vgl. Film 6) im Münsterland befinden sich auch Steffan und Steffen, zwei geistig behinderte Jungen. Sie werden hier zusammen mit normal entwickelten sowie anderen sonderschulbedürftigen Kindern unterrichtet. Der Film, der das gemeinsame Leben und Lernen dieser Kinder eindrücklich schildert, lebt von den unkommentierten Bildern und läßt diese für sich alleine sprechen. Er verzichtet, im Gegensatz etwa zur Dokumentation des Münchener Modellversuchs (vgl. Filme 10 und 11), auf weiterführende Erläuterungen zu den Möglichkeiten und Grenzen integrativer Erziehung im allgemeinen sowie zur Frage nach den Integrationsbemühungen im Rahmen der Montessori-Pädagogik im besonderen.
Die Bilder lassen erkennen, daß die Schülerinnen und Schüler der Borkener Montessori-Schule recht unbefangen miteinander umgehen. Aus ihrer Sicht kommt der Frage danach, ob ein Kind behindert ist oder nicht, offenbar keine besondere Bedeutung zu. Wie selbstverständlich wachsen sie zusammen auf und lernen, ihre persönlichen Eigenschaften, Stärken und Schwächen zu akzeptieren. Der Zuschauer kommt nicht umhin sich zu fragen, ob eine schematische Klassifizierung von Menschen mit Hilfe der Kategorien "behindert" bzw. "nicht behindert" nicht alleine dem Denken Erwachsener entspringt. Mit einiger Berechtigung mag er bezweifeln, daß eine solche Einteilung auch von den im Film vorgestellten Kindern bewußt vorgenommen wird.
Steffan und Steffen werden an zwei Unterrichtstagen beobachtet. Die beiden Jungen lesen, schreiben und malen in der Freiarbeit, sie verrichten Klassendienste und nehmen am gemeinsamen Frühstück sowie an Gartenarbeiten teil. Sie turnen, musizieren und singen mit den anderen Kindern. Das Plädoyer des Films ist eindeutig: Behinderte und Nichtbehinderte können harmonisch miteinander leben und lernen, integrative Erziehung ist auch bzw. besonders im Rahmen der Montessori-Pädagogik mit ihrer freieren Unterrichtsorganisation sinnvoll und möglich. Leider werden, wie bereits angemerkt, keine Hintergrundinformationen über die Lern- und Entwicklungsfortschritte von Steffan und Steffen geliefert bzw. konkrete Hinweise zu den Chancen und Problemen des integrativen Unterrichts gegeben.
Was verbindet nun Brechts Gedicht "Der Pflaumenbaum", auf das im Filmtitel angespielt wird, mit einer integrativ arbeitenden Montessori-Grundschule?
Im Hofe steht ein Pflaumenbaum,
der ist klein, man glaubt es kaum.
Er hat ein Gitter drum, so tritt ihn keiner um.
Der kleine kann nicht größer werden,
ja größer werden, das möcht er gern,
ist keine Red davon, er hat zu wenig Sonn.
Den Pflaumenbaum glaubt man ihm kaum,
weil er nie eine Pflaume hat, doch er ist ein Pflaumenbaum,
man kennt es an dem Blatt.
(Bertolt Brecht, Gedichte 1933-1938)
Gegen Ende des Films interpretieren und diskutieren Eltern von Schülern der Borkener Montessori-Schule die Aussage des Gedichtes im Hinblick auf die Situation ihrer Kinder. Nach ihrer Überzeugung bringt "Der Pflaumenbaum" die Lebenssituation vieler Behinderter zum Ausdruck, da der eingezäunte Baum deren Isolation symbolisiert. An der integrativen Montessori-Grundschule Borken habe jedoch keines der Kinder, so die Eltern übereinstimmend, einen Zaun um sich herum, sondern befinde sich inmitten einer echten Gemeinschaft. Aus den Äußerungen der Väter und Mütter läßt sich schließen, daß die Kinder mit körperlichen oder geistigen Behinderungen ihrer Mitmenschen wesentlich unverkrampfter umgehen, als Erwachsene dies oft tun. Integrative Erziehung, so ihre Botschaft, stellt daher für alle Schüler, ob behindert oder nicht, eine fundamentale Bereicherung dar.
(Michael Klein-Landeck)
Im Hofe steht ein Pflaumenbaum,
der ist klein, man glaubt es kaum.
Er hat ein Gitter drum, so tritt ihn keiner um.
Der kleine kann nicht größer werden,
ja größer werden, das möcht er gern,
ist keine Red davon, er hat zu wenig Sonn.
Den Pflaumenbaum glaubt man ihm kaum,
weil er nie eine Pflaume hat, doch er ist ein Pflaumenbaum,
man kennt es an dem Blatt.
(Bertolt Brecht, Gedichte 1933-1938)
Gegen Ende des Films interpretieren und diskutieren Eltern von Schülern der Borkener Montessori-Schule die Aussage des Gedichtes im Hinblick auf die Situation ihrer Kinder. Nach ihrer Überzeugung bringt "Der Pflaumenbaum" die Lebenssituation vieler Behinderter zum Ausdruck, da der eingezäunte Baum deren Isolation symbolisiert. An der integrativen Montessori-Grundschule Borken habe jedoch keines der Kinder, so die Eltern übereinstimmend, einen Zaun um sich herum, sondern befinde sich inmitten einer echten Gemeinschaft. Aus den Äußerungen der Väter und Mütter läßt sich schließen, daß die Kinder mit körperlichen oder geistigen Behinderungen ihrer Mitmenschen wesentlich unverkrampfter umgehen, als Erwachsene dies oft tun. Integrative Erziehung, so ihre Botschaft, stellt daher für alle Schüler, ob behindert oder nicht, eine fundamentale Bereicherung dar.
(Michael Klein-Landeck)
Integrative Montesssori-Schule Münsterland e.V. (Hrsg.): Integrative Montessori-Grundschule Borken. Erfahrungen auf einem 10-jährigen Weg, Borken 1995