(Auszug aus "Profil der Montessori-Pädagogik und ihrer Einrichtungen", erarbeitet von Prof. Dr. Hans-Dietrich Raapke, Universität Oldenburg und der Fachgruppe "Theorie" der Dozentenkonferenz der deutschen Montessori-Vereinigung e.V., Stand 2003)
Montessori "Erdkinderplan" ist ein Plan zur Reform der Sekundarstufe. Er fällt in ein (Entwicklungs-) Alter im Übergang von der Mentalität des Kindes — das innerhalb der Familie lebt — zur Mentalität des Erwachsenen, der in der Gesellschaft leben muss. Es sei das "eine besonders empfindliche Periode" (landläufig: Pubertät), in der die jungen Menschen gleichermaßen zu fördern und zu schützen seien.
Der "Erdkinderplan" ist abgedruckt in: Montessori, Maria: Von der Kindheit zur Jugend, Freiburg 1966, und in: "Kosmische Erziehung", 5. Aufl. Freiburg 2002 (daraus die folgenden Zitate). Vgl. ferner: Raapke, Hans-Dietrich: Montessoris Erdkinderplan zur Reform der Sekundarstufe — Ein Kommentar (2. erw. Aufl.) Oldenburg 1998.
Das Konzept „Erdkinderplan“ beschreibt in einer Lebensform auf dem Land ein „Studien- und Arbeitszentrum“ bestehend aus
Diese Einrichtungen sollen gemeinsam von Jugendlichen und Erwachsenen mit dem Ziel der wirtschaftlichen Unabhängigkeit geführt werden. Zum Gesamtkonzept gehört ferner
Diese „Erfahrungsschule des sozialen Lebens“ hat Ähnlichkeiten mit den Landerziehungsheimen und Produktionsschulen jener Zeit. Die Möglichkeit für die Jugendlichen, selbst Geld zu verdienen, soll nach Montessoris Vorstellung ihre soziale Unabhängigkeit stärken. Weil die Jugendlichen durch die Arbeit auf dem Land und mit der Erde von den Ursprüngen her in die Kultur eindringen, spricht Montessori in ihrem Konzept von „Erdkindern“. Diese werden aber zudem — ganz modern — in die fundamentalen Mechanismen der Ökonomie Produktion und Warenaustausch eingeführt. „Die Arbeit mit der Erde ist der Zutritt zum unbegrenzten Studienweg der Naturwissenschaft und Geschichte“. Entscheidend ist die Vermittlung der Realität des Lebens auf der Basis sozialer Grunderfahrungen.
Der Studien- und Arbeitsplan — ein Rahmenplan für die weiterführende Schule — umfasst drei große Bereiche: „Moralische Pflege, Leibespflege, Programm und Methoden“.
„Moralische Pflege“: Darunter versteht Montessori die Pflege der Beziehungen zwischen den Jugendlichen, ihren Lehrern und der Umgebung (modern gesagt: Kommunikation und Pflege der Sozialkompetenzen). Von den Lehrkräften erwartet Montessori, den Jugendlichen gegenüber Achtung zu wahren, nie ihre Würde zu verletzen und sie keinesfalls wie Kinder zu behandeln. Die Jugendlichen brauchten genügend Freiheit für individuelle Initiativen, die freilich bestimmten Regeln unterworfen seien. Auch hier also das Montessori-Prinzip: Kinder und Jugendliche arbeiten in freier Initiative, aber nach expliziten oder immanenten Regeln. Wichtig: Dem Bedürfnis junger Menschen nach Einsamkeit und Ruhe muss entsprochen werden.
Der „Leibespflege“ widmet die Ärztin Montessori besondere Aufmerksamkeit. Wegen des vehementen körperlichen Wachstums der Jugendlichen — mit seinen psychischen Komponenten — sei medizinische Betreuung geboten. Auf die Ernährung und weit mehr sportliche Betätigung müsse geachtet werden; auch zur Suchtprävention gegen Alkohol und Tabak hat Montessori damals schon Überlegungen angestellt.
„Programm und Methoden“ zielt am meisten auf schulischen Unterricht und zwar in drei Richtungen:
Die „Erfahrungsschule des sozialen Lebens“ sollte nach Montessoris Willen eine Schule für alle sein. Für die Vorgehensweise gilt: „Die besten Methoden sind diejenigen, die beim Schüler ein Maximum an Interesse hervorrufen, die ihm die Möglichkeit geben, allein zu arbeiten, selbst seine Erfahrungen zu machen und die erlauben, die Studien mit dem praktischen Leben abzuwechseln.“
In Deutschland hat die Umsetzung der Montessori-Pädagogik in der weiterführenden Schule erst in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren einen intensiveren Aufschwung genommen. Zur Zeit gibt es vier Gesamtschulen und vier Gymnasien, die sich in ihrer Arbeit ausschließlich auf die Pädagogik Maria Montessoris beziehen und zumindest Teile ihrer Erfahrungsschule des sozialen Lebens umsetzen. In Nordrhein Westfalen und in Bayern kommen dazu noch ungefähr fünfzehn Haupt- bzw. Volksschulen, teilweise in privater Trägerschaft. Daneben existieren jedoch noch eine ganze Reihe von weiterführenden Schulen, die entweder Montessori-Zweige, — Klassen oder auch nur Elemente ihrer Pädagogik, wie z.B. Freiarbeit, in ihr Schulkonzept aufgenommen haben. All diesen Schulen gemeinsam ist, dass sie die Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung des Schülers mit dem Ziel der Persönlichkeitsbildung in den Mittelpunkt stellen. Das bedeutet vor allem, dass Freiarbeit als didaktisches Prinzip, aber auch Projekt- oder projektorientiertes Lernen und auch Handwerk regelmäßig — möglichst täglich — durchgeführt werden. Oft ist jedoch trotzdem der Bereich der „Studien“ dominant, weitere Elemente einer Erfahrungsschule des sozialen Lebens, wie oben dargestellt, fehlen. Die Entwicklung der Montessori-Pädagogik in der weiterführenden Schule schreitet kontinuierlich voran (vgl. Meisterjahn-Knebel, Gudula: Montessori-Pädagogik in der weiterführenden Schule — Der Erdkinderplan in der Praxis, Freiburg 2003; ferner Raapke, Hans-Dietrich: Erdkinder — Vorschläge für die Praxis, Oldenburg 1998.)