Biographie

Maria Montessori (1870-1952)

Eine tabellarische Übersicht zu Leben und Werk Maria Montessoris finden Sie in der folgenden PDF-Datei:

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  Maria Montessori um 1930
Maria Montessori um 1930

Der folgende Text gibt eine Einführung in Leben und Werk Maria Montessoris (Autor: Harald Ludwig):

Als Maria Montessori 1913 ihre erste Reise in die USA unternahm, wurde sie begeistert empfangen. Die Presse würdigte sie als "interessanteste Frau Europas, die das Erziehungssystem der Welt revolutioniert hat, … deren Erfolg so wunderbar war, dass sich die Montessori-Methode in einer Nation nach der anderen verbreitet hat, im Osten bis nach China und Korea, im Westen bis nach Honolulu und im Süden bis in die Republik Argentinien." (Zitat nach Kramer, Rita: Maria Montessori — Leben und Werk einer großen Frau, München 1977, S. 179). Tausende bemühten sich, Zugang zu Montessoris Vorträgen zu erhalten. Führende Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten bis hin zum damaligen Präsidenten und seiner Gattin suchten das Gespräch mit ihr und sprachen sich für eine Unterstützung ihrer Arbeit aus. Maria Montessori war in wenigen Jahren zu einer weltberühmten Persönlichkeit geworden, obwohl sie erst 1909 ihr erstes Buch mit einer Schilderung der Grundzüge ihrer pädagogischen Arbeit in dem 1907 in Rom gegründeten "Kinderhaus" für zwei- bis sechsjährige Kinder veröffentlicht hatte. Wer war diese Frau, die für ihre Pädagogik in so kurzer Zeit weltweite Aufmerksamkeit fand? Welche neuen Einsichten für Erziehung und Bildung junger Menschen hat sie erbracht?

 

Maria Montessori wurde am 31.8.1870 in Chiaravalle in der italienischen Provinz Ancona geboren. Sie wuchs in einem bürgerlichen Elternhaus auf, seit 1875 infolge einer beruflichen Versetzung ihres Vaters, eines höheren Finanzbeamten, in Rom. Dort standen bessere Schul- und Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung als in der Provinz. Nach der Grundschule besuchte sie eine naturwissenschaftlich-technische Sekundarschule, an der Mädchen nur in Ausnahmefällen vertreten waren. Dieser eigenwillige Lebensweg setzte sich fort mit dem Studium der Medizin, das Frauen damals in Italien noch nicht allgemein offen stand. Maria Montessori überwand alle Schwierigkeiten und wurde 1896 eine der ersten Ärztinnen Italiens.

 

Im selben Jahr vertrat die sozial engagierte junge Akademikerin mit großem Erfolg die italienische Frauenbewegung beim internationalen Frauenkongress in Berlin. Ihrer dortigen Reden mit Gedanken zur Frauenemanzipation sind noch heute von Interesse. Auch 1899 beim Internationalen Frauenkongress in London wirkte Maria Montessori als Delegierte Italiens mit. 1906 gehörte sie zu den Erstunterzeichnern einer Petition für das Frauenwahlrecht und unterstützte eine entsprechende Kampagne. 1908 hielt sie bei einem Frauenkongress in Rom eine mutige Rede zur Sexualerziehung. Zudem setzte sich die Reformerin für eine Revision des Jugendstrafvollzugs ein und führte mit ihren Studierenden praktische Reformen in einer „Erziehungsanstalt“ für jugendliche Delinquenten in Rom durch. (Vgl. Montessori, Maria: Gesammelte Werke (=GW) Bd. 3: Erziehung und Gesellschaft, hg. von H. Ludwig, Freiburg 2011, Kapitel II: Die neue Frau – Zur Stellung der Frau in der modernen Gesellschaft, Kapitel III: Kinder in Not – Zu sozialen Problemen von Erziehung und Bildung)

 

Zur Pädagogik fand die Medizinerin Montessori über behinderte Kinder, mit denen sie im Rahmen einer Tätigkeit als Assistenzärztin an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Verbindung kam. Sie erkannte, dass das Problem dieser damals in Irrenanstalten gehaltenen geistig zurückgebliebenen Kinder nicht nur ein medizinisches, sondern auch, vielfach sogar primär, ein pädagogisches war. Im Anschluss an zwei in Vergessenheit geratene französische Ärzte des 19. Jahrhunderts, Jean-Marc Itard (1775-1838) und Édouard Séguin (1812-1880), deren Werke sie intensiv studierte, entwarf sie ein pädagogisches Förderprogramm für diese Kinder und warb dafür mit Vorträgen. Der Grundgedanke war, über eine Aktivierung der Sinne das trotz der Schädigung verbliebene geistige Potential der Kinder anzusprechen und zu entwickeln. (Vgl. Montessori, M.: GW Bd. 3, a. a. O., Kapitel I: Das verstoßene Kind – Zur Förderung geistig behinderter Kinder.)

 

Man übertrug ihr zusammen mit ihrem langjährigen Kollegen und Freund Dr. Giuseppe Montesano die Leitung eines Instituts für Sonderschullehrer in Rom mit einer angeschlossenen Schule, in der sie auch selbst intensiv unterrichtete. Rückblickend schreibt sie dazu: "Diese zwei Jahre Praxis geben mir meinen ersten und wahren Anspruch in Bezug auf Pädagogik" (Montessori, M.: GW Bd. 1: Die Entdeckung des Kindes, hg. von H. Ludwig, Freiburg 2010, S. 30). Es gelang Montessori zum Erstaunen aller, einige ihrer geistig zurückgebliebenen Kinder so zu fördern, dass diese bei öffentlichen Prüfungen mit nicht behinderten Kindern, die eine normale Schule besuchten, mithalten konnten.

 

Montessori denkt nun darüber nach, ob die bei ihrer Arbeit mit behinderten Kindern gewonnenen Erkenntnisse nicht auch für die Erziehung und Bildung normal entwickelter Kinder genutzt werden könnten. Sie gibt die Leitung des Instituts und der Schule auf und beginnt — obwohl schon eine bekannte und anerkannte Persönlichkeit — ein Zweitstudium. Eine Rolle mag dabei auch gespielt haben, dass das Verhältnis zu ihrem Kollegen Dr. Montesano, dem Vater ihres 1898 unehelich geborenen Sohnes Mario, endgültig zerbrochen war. Montesano heiratete eine andere Frau. Montessori widmet sich nun vor allem der Anthropologie, und führt in Schulen verschiedene empirische Untersuchungen durch. 1904 habilitierte sie sich mit einer Arbeit zur Anthropologie an der Universität Rom in „Pädagogischer Anthropologie“ und lehrte dort in diesem Fachgebiet bis 1908.

 

Wesentliche Impulse für die Weiterentwicklung ihrer Pädagogik verdankt die theoretisch umfassend gebildete Hochschullehrerin wiederum praktischen Erfahrungen mit Kindern. Denn sie nimmt das Angebot einer Wohnungsbaugesellschaft an, im römischen Elendsviertel San Lorenzo eine Bewahranstalt für Kinder dort wohnender Arbeiterfamilien im Alter von zwei bis sechs Jahren zu leiten und pädagogisch zu gestalten. Am 6. Januar 1907 wird diese erste Casa dei Bambini (= "Kinderhaus") eröffnet. In der Arbeit mit den geistig nicht behinderten, aber sozial benachteiligten Kindern gewinnt die italienische Ärztin und Pädagogin weiterführende Erkenntnisse.

 

Zentrale Bedeutung erhält ihre Beobachtung, dass sogar kleine Kinder im Alter von etwa drei Jahren — im Widerspruch zu damals herrschenden theoretischen Auffassungen — zu einer außergewöhnlichen anhaltenden Konzentration fähig sind, wenn sie Gelegenheit haben, sich in freier Wahl mit einem ihrem jeweiligen Entwicklungsbedürfnis entsprechenden Gegenstand manipulativ auseinanderzusetzen. Montessori bezeichnet dies als Phänomen der "Polarisation der Aufmerksamkeit". Sie stellt umfassende Bildungswirkungen solcher konzentrierten kindlichen Aktivitäten fest, welche die ganze Persönlichkeit des Kindes betreffen. In diesem Zusammenhang spricht sie auch von der "Normalisation" des Kindes, d. h. dem Wiederherstellen der wahren positiven Möglichkeiten, über die das Kind von Natur aus verfüge, die aber bei einer unangemessenen Behandlung durch die Erwachsenen verbogen würden ("Deviationen"). "Und von nun an" — resümiert Montessori — "war es mein Streben, Übungsgegenstände zu suchen, die die Konzentration ermöglichen; und ferner studierte ich gewissenhaft, welche Umgebung die günstigsten äußeren Bedingungen für diese Konzentration bietet. So begann ich, meine Methode aufzubauen" (Montessori, M.: GW Bd. 7: Das Kind in der Familie, hg. von F. Hammerer und H. Ludwig, Freiburg 2011, S. 50).

 

Die ungewöhnlichen Erziehungs- und Bildungserfolge, welche die italienische Pädagogin mit den Kindern von San Lorenzo erzielte, wurden rasch bekannt. Besucher aus vielen Ländern reisten nach Rom, um sich selber ein Bild zu machen. Es kommt zur Gründung weiterer Kinderhäuser. Montessori entschließt sich zur Beendigung ihrer Lehrtätigkeit an der Universität Rom und zur Aufgabe ihrer Praxis als Kinderärztin sowie ihrer Aktivitäten für die Frauenbewegung. Sie will sich von nun an ausschließlich der Verbreitung und Weiterentwicklung ihrer pädagogischen Ideen widmen: durch Vorträge, Publikationen, Kongresse, internationale Kurse zur Ausbildung von Pädagogen sowie Gründung von pädagogischen Einrichtungen. 1909 erscheint ihr erstes Buch („Il metodo…“). Noch vor dem ersten Weltkrieg breitet sich ihre Konzeption in zahlreichen Ländern der Welt aus. Montessori beginnt eine bis zu ihrem Tod andauernde Wanderschaft, die sie in viele Länder der Welt führt. Besonders groß ist anfangs das Interesse in den USA. Mehrfach reist Montessori zwischen 1913 und 1917 zu längeren Vortragsreisen und Ausbildungskursen dorthin. Ein Höhepunkt ist 1915, als bei der Panama-Pazifik-Ausstellung in San Francisco in einer Demonstrationsklasse ihre Pädagogik vorgestellt wird. Montessori hält in Kalifornien auch ihren dritten Internationalen Ausbildungskurs ab (vgl. GW Bd. 5: Kalifornische Vorträge – Gesammelte Reden und Schriften von 1915, hg. von Robert G. Buckenmeyer, bearbeitet von Ela Eckert und Harald Ludwig, Freiburg 2014).

 

Montessori hat ihre Pädagogik inzwischen für die Primarstufe, d. h. für Kinder im Alter von 6-12 Jahren, weiterentwickelt und erprobt. Dazu veröffentlicht sie ein umfangreiches Werk als Fortsetzung ihrer Schrift von 1909 (Vgl. Montessori, M.: L'autoeducazione nelle Scuole Elementari, Roma 1916. Ins Deutsche übersetzt wurde der erste allgemeine Teil unter dem Titel: Schule des Kindes — Montessori-Erziehung in der Grundschule, Freiburg 1976, der zweite Teil unter dem Titel „Entwicklungsmaterialien in der Schule des Kindes“, Dörfles 2003; demnächst GW Bd. 6/1 und 6/2: „Die Selbsterziehung des Kindes in der Grundschule“). 1916 verlegt sie ihren Wohnsitz nach Barcelona. Dort führt die katholische Reformpädagogin auch religionspädagogische Versuche durch, über die sie später wiederholt berichtet (Vgl. Montessori, M.: Kinder, die in der Kirche leben, Freiburg 1964; Montessori, M.: Gott und das Kind, Kleine Schriften 4, Freiburg 1995; demnächst GW Bd. 8: „Gott und das Kind“). Nie jedoch gibt sie ihrer pädagogischen Konzeption eine weltanschauliche Engführung. Denn ihre pädagogischen Ideen sollen allen Kindern dieser Welt zugute kommen. Sie können dies, weil sie auf Einsichten über den Menschen und seine Entwicklung beruhen, die nach Montessoris weltweiten Erfahrungen in ihren Grundlagen unabhängig von kulturellen, sozialen, ethnischen oder religiösen Besonderheiten sind, auf einer allgemeinmenschlichen Basis beruhen.

 

Nach dem ersten Weltkrieg arbeitet Montessori in dem 1921 gegründeten "Weltbund für Erneuerung der Erziehung" ("New Education Fellowship") mit und tritt verstärkt in einen Gedankenaustausch mit führenden Reformpädagogen der damaligen Zeit. Entwürfe für eine Sekundarschule, die sie nun vorstellt, und auch neue Akzente für die Gestaltung der Primarschule lassen dies erkennen (Vgl. Montessori, M.: Von der Kindheit zur Jugend, Freiburg 1966; in erweiterter Form GW Bd. 14: Von der Kindheit zur Jugend, Freiburg 2015). 1929 wird die Internationale Montessori Gesellschaft (AMI) gegründet. Führende Persönlichkeiten der damaligen Zeit gehören ihr als Förderer an. Montessori baut ihre pädagogische Konzeption weiter aus. Sie engagiert sich vor allem in den 30er Jahren immer wieder für eine Erziehung zum Frieden (Vgl. Montessori, M.: Frieden und Erziehung, Freiburg 1973; Montessori, M.: Die Macht der Schwachen, Kleine Schriften 2, Freiburg 1989; demnächst GW Bd. 9: Frieden und Erziehung). Im Rahmen bildungstheoretischer Überlegungen entwirft sie Konzept und Realisierungsformen einer "Kosmischen Erziehung" (Vgl. Montessori, M.: "Kosmische Erziehung", Kleine Schriften 1, Freiburg 1988; demnächst in erweiterter Form GW Bd. 16: „Kosmische Erziehung“).

 

1936 muss Montessori wegen des spanischen Bürgerkrieges aus Barcelona fliehen und lässt sich in Holland nieder. Durch Kriegsumstände bedingt hält sie sich während des zweiten Weltkriegs in Indien auf. Wichtige Teile ihres Spätwerks entstehen dort (Vgl. z.B. Montessori, M.: Das kreative Kind — Der absorbierende Geist, Freiburg 1972; demnächst als GW Bd.17: Der absorbierende Geist). Schon 1946 führt sie in London wieder einen internationalen Ausbildungskurs durch (vgl. Montessori, M.: The 1946 London Lectures, Amsterdam 2012). Auch nach ihrer Rückkehr nach Holland ist die fast Achtzigjährige unermüdlich tätig und unternimmt weitere internationale Vortragsreisen. In ihrem Wohnort Nordwijk aan Zee stirbt sie am 6. Mai1952, als sie mit ihrem Sohn Mario, der ihr wichtigster Mitarbeiter geworden war, gerade über eine Reise nach Ghana nachdenkt, um beim Aufbau des dortigen Bildungswesens zu helfen. (Vgl. Kramer, R., a.a.O., S. 435).

 

Am Ende ihres Lebens hat Montessori häufiger darüber reflektiert, was ihre eigentliche Lebensleistung darstelle. Dabei hat sie betont, dass es im Grunde falsch sei, diese in der Entwicklung einer neuen Erziehungsmethode zu sehen. Der Begriff der "Methode", den sie selbst früher für ihre Konzeption gebraucht hatte, sei eigentlich zu eng. Es gehe vielmehr um eine umfassende Förderung menschlicher Personalität. "Die menschliche Personalität muss in den Blick genommen werden" — schreibt sie — "und nicht eine Erziehungsmethode: Die Verteidigung des Kindes, die wissenschaftliche Erkenntnis seiner Natur, die Proklamation seiner sozialen Rechte müssen an die Stelle der zerstückelten Weisen, die Erziehung zu konzipieren, treten. Angesichts der Tatsache, dass 'menschliche Personalität' jedem menschlichen Sein eigen ist und Europäer wie Inder und Chinesen Menschen sind, betrifft und interessiert es … alle von Menschen bewohnten Länder, wenn wir Lebensbedingungen feststellen können, die die menschliche Personalität fördern." (Montessori, M.: Über die Bildung des Menschen, Freiburg 1966, S. 16; = Montessori, M.: Dem Leben helfen, Kleine Schriften 3, Freiburg 1992, S. 121; demnächst GW Bd. 18: Über die Bildung des Menschen).

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